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13.11.2023

Wissenschaftliches Symposium in Würzburg: Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft hat Schlüsselrolle für Nachhaltigkeit & Ernährung inne

Aspekte zum Thema „Nachhaltigkeit & Ernährung“ diskutieren rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim 16. Wissenschaftlichen Symposium des Verbands der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft am 8. November in Würzburg. „Es bleibt spannend“ sagt Peter Haarbeck, VGMS-Geschäftsführer, „wir diskutieren über Handlungsfelder für mehr Nach-haltigkeit, noch ist dabei vieles nicht zu Ende gedacht.“ Ein Beispiel: Nachhaltigkeitslabels stiften Verwirrung, können aber auch etwas bewirken, und sie können eine Chance für die Branche sein, den Mehrwert von Getreideprodukten für Verbraucher herauszustellen. Die juristische Betrachtung offenbart gleichwohl „großes Potential“ für neue Bürokratie. Die Unternehmen zeigen, dass sie Nachhaltigkeit anpacken. Ein weit gefasstes Werbeverbot hingegen ist wenig nachhaltig: Es wird Kinder nicht schlanker machen, aber Produktinnovationen verhindern und Medienvielfalt gefährden. „Wir müssen sprechen, um bestehende Hindernisse zu überwinden. Wir sind dialogbereit, die Politik ist es nur sehr eingeschränkt. Die derzeit wohl größte Hürde für mehr Nachhaltigkeit“, resümiert Haarbeck. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind sich letztlich einig: Die Getreide-, Mühlen und Stärkewirtschaft ist „Enabler“, wenn es um mehr Nachhaltigkeit in der Ernährung geht.

Die Vorträge und Diskussionen im Einzelnen

Birgit Schulze-Ehlers von der Georg-August-Universität Göttingen erläutert die Bedeutung der Kennzeichnung für ein nachhaltiges Ernährungsverhalten. „Labels müssen intuitiv sein, schnell erkennbar und einfach verständlich. Dann kann ein Label das Verbraucherverhalten ändern. Es kann sowohl zum Kauf anregen, aber auch dafür sorgen, dass ein Produkt nicht gekauft wird.“ Hans Kaufmann vom Bundesverband Naturkost Naturwaren sieht ebenfalls große Chancen einer einfachen und verständlichen Kennzeichnung, wie durch den Planet Score. Noch fehle es aber an eindeutigen und harmonisierten Regelungen: „Der politische Wille ist noch nicht da, das Thema Nachhaltigkeitskennzeichnung voranzubringen.“ Er fordert: „Unser Ziel muss es sein, aus dem Label-Dschungel herauszukommen, allein in Deutschland gibt es über 70 Labels für Nachhaltigkeit!“

Carolyn Hutter und Carsten Demming von der Dualen Hochschule Heilbronn halten es für wahrscheinlich, dass angesichts der erheblichen Wirkungen des Ernährungssystems eine gesetzlich geregelte Nachhaltigkeitskennzeichnung von Lebensmitteln, ähnlich der Nährwertkennzeichnung, eingeführt wird. Der Getreidesektor stehe damit vor der Herausforderung, die Vermittlung von Nachhaltigkeitsinformationen zu nutzen, um den Mehrwert, den die Branche zweifelsohne habe, für Verbraucherinnen und Verbraucher zu signalisieren. Darüber, wie eine solche Kennzeichnung aussehen muss, gebe es unterschiedliche Vorstellungen bei Experten und Verbraucherschaft. Während Verbraucherinnen und Verbraucher das Thema mit konkreten Eigenschaften verknüpften, strebten Expertinnen und Experten eine möglichst vollständige Darstellung an. In einer Studie konnte mit Hilfe von „Eye-Tracking“ gezeigt werden, dass klar erkennbare, verständliche Lösungen anzustreben seien: „Verbraucher betrachten ein Produkt zwei bis sechs Sekunden lang, bevor sie eine Kaufentscheidung treffen. In dieser Zeit muss der Planet Score verstanden werden“.

Philipp Luthardt, Leiter Nachhaltigkeit & Kommunikation berichtet aus der unternehmerischen Praxis. Die Bohlsener Mühle ist ein Unternehmen mit langer Bio-Geschichte und starken Engagement in Sachen Nachhaltigkeit. Am Beispiel Quinoa-Anbau in Deutschland zeigt er, dass es lohnt Dinge zu versuchen: „Das heißt nicht, dass das jetzt alles immer reibungslos funktioniert – der Großteil unseres Quinoas kommt immer noch aus Südamerika. Aber wir probieren uns eben aus, und das muss das Ziel sein. Lösungsansätze müssen nicht perfekt sein, um sie umzusetzen. Nörgeln bringt uns nichts, wir müssen ins Tun kommen!“

Tudor Vlah von der Wettbewerbszentrale und Bärbel Hintermeier vom VGMS stellen den Status Quo im Kennzeichnungsrecht sowie aktuelle Rechtsprechungen vor: „Eine strenge Durchsetzung von Regeln ist notwendig, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen in Umweltaussagen zu stärken“. „Damit letztlich Verbraucher, Umwelt und Politik gewinnen, dürfen gleichwohl Anforderungen und bürokratischer Aufwand für die Kommunikation von Umweltleistungen nicht zur Hürde werden“, erklärt Bärbel Hintermeier. Tudor Vlah zeigt, dass das von Gerichten angenommene und in repräsentativen Umfragen ermittelte Verbraucherverständnis nicht immer deckungsgleich sind: „Teilweise entfernt sich die Rechtsprechung immer mehr vom Verbraucherverständnis“, so Vlah. Die Nachvollziehbarkeit von Informationen sei aber wichtig, damit Verbraucher abwägen und auf dieser Basis Entscheidungen treffen können.

Thomas Brudermann von der Universität Graz gewährt Einblicke in die Entscheidungs-Psychologie im Zusammenhang mit klimafreundlichem Verhalten: „Ausreden über Ausreden, aber die Nachhaltigkeit bleibt oft auf der Strecke. Politik, Wirtschaft und BürgerInnen spielen sich den Ball gegenseitig zu, doch zu wenig passiert bei Themen wie Klimaschutz, Umweltschutz und Nachhaltigkeit in Produktion und Konsum“. „Aus psychologischer Sicht sollten wir daher besser nicht von einem Verzicht, sondern vielmehr über einen Tausch sprechen, damit uns die Transformation gelingt“. Brudermann mahnt: „Klimaschutz ist kein Zug, der irgendwann endgültig abfährt. Aber je später wir auf den Zug aufspringen, desto unbequemer wird die Fahrt.“

Friedrich Longin von der Universität Hohenheim stellt Forderungen der Wissenschaft an die Wertschöpfungskette: „Moderne Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie sind die größte Erfolgsgeschichte der Menschheit“. Für die dringend benötigte Ernährungswende braucht es aber noch mehr Verständnis, Forschung und Ausbildung entlang ganzer Wertschöpfungsketten, um Potentiale für die Ernährung der Zukunft zu heben, so Longin. Am Beispiel der Versorgung mit Mineralstoffen macht er deutlich: „Sowohl Auswahl der Weizensorte, Anbauverfahren, Müllerei wie das Backrezept beeinflussen den Gehalt und die Bioverfügbarkeit von Mineralstoffen im Brot.“ Ertragssicherung und Produktqualität dürfen dabei nicht aus den Augen verloren werden. Und letztlich „braucht es auch hier mehr Verbraucherverständnis und -wissen, wie Lebensmittel entstehen und Ernährung funktioniert“.

Wie wenig nachhaltig manch politisches Ansinnen ist, zeigt der Vortrag von Katja Heintschel von Heinegg vom Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft. Sie berichtet zum geplanten Werbeverbot für Kinderlebensmittel. Der von Bundesernährungsminister Cem Özdemir vorgelegte Entwurf sieht massive Beschränkungen der Lebensmittelwerbung vor – ungefähr 70 Prozent aller in Deutschland vertriebenen Lebensmittel wären von Beschränkungen betroffen, erklärt von Heinegg. Damit greife der Gesetzentwurf in die Kommunikations- und Wirtschaftsgrundrechte der werbenden Unternehmen, aber auch in die Medien-Grundrechte ein. „Dass ein derartiges Werbeverbote zur Reduzierung von kindlichem Übergewicht führt, ist zweifelhaft“ sagt von Heinegg und ergänzt: „Werbeverbote sorgen dafür, dass etablierte Marken am Markt bleiben und sich neue Firmen mit ihren Innovationen auch in Sachen Nachhaltigkeit nicht platzieren können“.

Zum Download:
VGMS-Pressemitteilung