VGMS-Getreidetagung in Weihenstephan: Wir haben ein Problem mit der Versorgungssicherheit in Deutschland und für die Welt
Traditionsgemäß eröffnen Stefan Blum, Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Handelsmühlen, und Thomas Becker, Inhaber des Lehrstuhls für Brau- und Getränketechnologie an der TU München die Getreidetagung in Weihenstephan. Beide stimmen darin überein, dass die Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft gefordert ist, den hohen Qualitätsanforderungen ihrer Kunden mit innovativen Ideen zu begegnen, gerade vor dem Hintergrund der schwierigen Versorgung mit Qualitätsgetreide.
Ludwig Striewe von BAT Agrar hält die politisch forcierte Extensivierung insbesondere in Deutschland, aber auch in ganz Europa, für den falschen Weg. Werden Gunststandorte in Europa aufgegeben oder extensiv genutzt, muss immer mehr Getreide auf Grenzstandorten im Rest der Welt produziert werden, um die Menschen ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen. „Wir haben in Deutschland ein Problem mit der Versorgungssicherheit“ und das, obwohl bestens ausgebildete Landwirte auf Gunststandort im Weltmaßstab Getreide anbauen. „Wir müssen wieder ertragsangepasst düngen dürfen, sonst werden wir die Abwärtsspirale bei Ertrag und Protein nicht aufhalten.“ Deutschland verliert mangels Menge und Qualität zunehmend seine Funktion als Weizenexporteur, andere Länder müssen diese Lücke schließen, so Striewe. Die aktuelle Situation an den Getreidemärkten ist durch die globale Wirtschaftskrise geprägt. Auch in Deutschland bleibt die Nachfrage gebremst, während viel alterntige Ware an den Markt kommt und die Läger des Erfassungshandels voll sind. Wegen der niedrigen Börsennotierungen ist die Vorverkaufsbereitschaft der Landwirtschaft schon seit Monaten gering, lediglich rund zwei Drittel der üblichen Mengen sind kurz vor der Ernte vorkontrahiert. Viele Landwirte haben den richtigen Zeitpunkt verpasst, zumindest einen Teil ihrer Ernte zu guten Preisen zu verkaufen.
Lorenz Hartl von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft LfL in Weihenstephan präsentiert die Ergebnisse der Landessortenversuche und neue Brotgetreidesorten. Er stellt fest, dass der durchschnittliche Proteingehalt beim Weizen in Bayern seit der Ernte 2017 kontinuierlich sinkt und zuletzt in der Ernte 2024 nurmehr bei 11,9 Prozent liegt: „In Bayern werden weitestgehend A-Weizensorten angebaut, viele Sorten mit guten Backeigenschaften. Die von den Erfassern geforderten 13 Prozent werden aber nicht mehr erreicht“. In der Prüfung neuer Roggensorten ist die Anfälligkeit für die Infektion mit Mutterkorn ein wichtiges Kriterium. In der Diskussion wird deutlich, dass die Züchtung in den vergangenen Jahrzehnten Sorten hervorgebracht hat, die Müllerei und Bäckerei vor Probleme stellt. Die schwache Enzymaktivität vieler Roggensorten macht es immer schwerer, die Brote zu backen, die die Verbraucherinnen und Verbraucher gerne kaufen. Dies ist ein Grund für die über die vergangenen Jahre kontinuierlich abnehmende Nachfrage und Verarbeitung von Brotroggen. Die Anwesenden waren sich einig, dass hier gemeinsame Gespräche und Aktivitäten der gesamten Wertschöpfungskette dringend notwendig sind.
Cornel Adler vom Julius Kühn-Institut in Berlin stellt Lösungsansätze für einen an die Zeiten des Klimawandels angepassten Vorratsschutz vor. Während die Anzahl der Vorratsschutzmittel-Wirkstoffe sinkt, nimmt der Befall mit Schadinsekten stetig zu. Neue Insektenarten und der Befall des Getreides bereits auf dem Acker sind neue Herausforderungen, die auf die Getreidewirtschaft zukommen. Seine Empfehlung: „Schädlingsvermeidung geht vor Schädlingsbekämpfung“ und weiter: „Lagerstätten in geeigneter Bauweise, eine gute Rohwareninspektion, vor allem aber Kühlung und Trocknung sind wirkungsvolle Maßnahmen, die zu ergreifen sind.“
Moritz von Köckritz von der Saatgut-Treuhandverwaltung gibt ein Update zur viel diskutierten Erntegutbescheinigung. Seine Botschaft ist klar: „Die Erntegut-Bescheinigung der STV gibt den Erfassern Sicherheit, weil mit ihr die Zusage verbunden ist, dass die STV Erfasser auch dann nicht in Anspruch nimmt, wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass die erfasste Ware – trotz Vorliegens einer Erntegut-Bescheinigung – widerrechtlich erzeugt worden ist.“ Er weist weiter darauf hin, dass Erfasser auch ein eigenes System zur Prüfung der Verpflichtungen aus dem BGH-Urteil für ihr Unternehmen einrichten können oder ein System eines dritten Anbieters nutzen könnten, wenn es ein solches gäbe. Er macht zugleich darauf aufmerksam, dass die STV solche alternativen Systeme nur dann akzeptieren würde, wenn sie einen vergleichbaren Prüfumfang wie das System zur Erlangung der Erntegut-Bescheinigung aufweist. In der Diskussion macht er nochmal deutlich, dass eine einfache Selbsterklärung des Landwirts aus Sicht der STV nicht ausreicht. Erwartungsgemäß wird die Position und das Vorgehen der STVG sehr kritisch diskutiert. Es wird aber auch deutlich, dass sich die Unternehmen der Getreidekette damit umgehen müssen, dass die STV nach dem in ihrem Sinne ausgefallenen BGH-Urteil die Regeln vorgibt. Einig sind sich wiederum nahezu alle, dass die Züchtung und innovative neue Sorten eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der vielen Herausforderungen spielen und die Züchter für ihre Arbeit bezahlt werden müssen.
„Die Herausforderungen für die Brotindustrie sind ähnlich wie in der Müllerei" so Tobias Schuhmacher vom Verband Deutscher Großbäckereien in seinem Fazit. Volatile Rohstoffpreise, steigende Lohnkosten, verändertes Einkaufsverhalten des Lebensmitteleinzelhandels – und ein immer höherer Effizienzdruck beschäftigen die Backindustrie. Mit Blick auf das schwierige Umfeld hält er eine proaktive, offene und strategisch abgestimmte Kommunikation entlang der Wertschöpfungskette für einen zentralen Erfolgsfaktor.
Malte von Bloh vom Lehrstuhl für Digitale Landwirtschaft der TU München, präsentiert das Projekt „Smartfield: Potentiale von KI für den Pflanzenbau & Lebensmittelindustrie". Seine Kernaussage: Algorithmen können genauso gut Ackerbau betreiben wie ausgebildete Menschen, kann er anhand erster Erkenntnisse aus Standortversuchen belegen. Es gehe in dem Projekt nicht darum, eine weitere Entscheidungshilfe zu entwickeln, sondern einen vollwertigen Entscheidungsträger zu entwickeln, so von Bloh. Langfristig sei auch denkbar, die Zielvorgaben weiterzuentwickeln, so könne zum Beispiel Ertragsmaximierung durch ökonomische Maximierung und Ressourceneffizienz abgelöst werden.
Wie ein Einstieg in die THG-Bilanzierung „digital, einfach und kostengünstig“ erfolgen kann, stellt Michael Roßberger vor: „Basierend auf den Betriebsführungsdaten berechnen wir die Treibhausgasemissionen und empfehlen Klima-smarte landwirtschaftliche Maßnahmen. Darüber hinaus unterstützen wir Landwirte vor Ort mit maßgeschneiderten, klimawirksamen und treibhausgasreduzierenden Anbaumethoden“, so der Spartenleiter Pflanzenbau bei BAT Agrar.
Carina Stoll von der AG Getreidetechnologie und -verfahrenstechnik der TU München denkt Malzqualität neu: „Malzqualität neu gedacht – Proteolytische Aktivität mit Azogluten bestimmen“ ist der Titel ihres Vortrags. Nimmt die Backqualität ab, können Malzmehle in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Dazu braucht es smarte Testverfahren zu deren Einordnung, die ersten Ergebnisse eines glutenbasierten Assays zur spezifischen Identifikation der proteolytischen Aktivität getreidebasierter Systeme sind vielversprechend. Bis solche Systeme marktreif sind, müssen aber weitere Schritte, wie die Kalibrierung mit kommerziellen Proteasen, folgen.
Zum Download:
VGMS-Pressemitteilung Getreidetagung 2025